Internationale Herbsttagung der European Federation for Living (EFL) zeigt Wege für bezahlbares und nachhaltiges Wohnen auf

03.11.2021
Wie kann es gelingen, auch zukünftig preisgünstigen Wohnraum in unseren Städten anzubieten und dabei gleichzeitig Aspekte der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen? Diese Kernfrage diskutierten am 21. und 22. Oktober rund 50 internationale Expertinnen und Experten der Wohnungswirtschaft in Stuttgart im Rahmen der zweitägigen Konferenz „Vibrant and Sustainable Urban Neighbourhoods in the 21st. Century“.

In Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops diskutierten und entwickelten die Teilnehmenden Lösungen für die Zukunft des Wohnens. Vorort-Besuche bei ausgewählten Bauprojekten in Stuttgart rundeten den Erfahrungsaustausch ab.

Rainer Böttcher, Vorstand der Mitorganisatorin FLÜWO Bauen Wohnen eG, erläuterte in seinem Vortrag die vier Wohnformen seines genossenschaftlichen Unternehmens: Wohnen auf Zeit, Wohnen für kleine Haushalte, Wohnen für Familien und Wohnen für späte Lebensphasen. „Wir haben unsere Philosophie in dem Leitgedanken „Wir begleiten dich – egal, wo du in deinem Leben stehst“ zusammengefasst. Ein festes Versprechen an unsere Mieterinnen und Mieter, dass wir als Wohnungsbau-genossenschaft deutlich mehr sind als einfach nur ihr Vermieter“, so Rainer Böttcher. „Die FLÜWO versteht sich als Lebensbegleiter für alle Aspekte des Wohnens. Das Ziel ist dabei immer die nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität im gesamten Wohnumfeld“, führt er weiter aus.

Ben Pluijmers, Vorstandsvorsitzender der EFL, brachte das Grundproblem auf den Punkt: „Die Preise für das Wohnen steigen alarmierend. Gleichzeitig müssen wir Geschwindigkeit aufnehmen, um die Nachhaltigkeitsziele des Pariser Abkommens zu erreichen.“

So haben sich zum Beispiel die Hauspreise in Australien innerhalb einer Generation mehr als verfünffacht. „Betongold“ ist die neue Leitwährung der entwickelten Gesellschaften, wie Dr. Steffen Wetzstein von der University of Western Australia in seinem Vortrag ausführte. Seine Forderung lautet: „Das Wohnen darf nicht weiter ein Spekulationsobjekt für einen Teil der Bevölkerung sein, sondern muss wieder als Grundbedürfnis aller verstanden und geschaffen werden.“

Eine Lösung könnte aus seiner Sicht die gezielte Stärkung und Förderung des städtischen Erbpachtsystems darstellen. Hierbei wird individuell Wohneigentum geschaffen ohne dass der städtische Boden aus den Händen der Kommune verkauft wird. Der Erfolg Singapurs beim bezahlbaren Wohnen gründe weitestgehend auf diesem System.

„In der heutigen Zeit steht die Wohnungsfrage nicht nur als sozial-ökologische Problematik im Mittelpunkt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, sondern auch als ökonomischer Standortfaktor“ erläuterte Dr. Steffen Wetzstein die Bedeutung von bezahlbarem Wohnraum als positiven Standortfaktor. „Die bezahlbare Stadt mit leichtem und fairem Zugang zu Arbeit, Erholung, Kultur, sozialer Interaktion, digitaler Infrastruktur, Einkauf und Vergnügen ist das beste Fundament für eine produktive und wettbewerbstaugliche Stadt für das 21. Jahrhundert“.

„Ist die Urbanisierung, wie wir sie heute praktizieren, nachhaltig?“ fragten Prof. Dr. Hubert Klumpner und Melanie Fessel von der ETH Zürich. Sie zeigten auf, dass sie dies in vielen Bereichen nicht ist. Es wird zu groß und zu teuer gebaut. Am Beispiel des Projekts „Empower Shack“ aus Kapstadt verdeutlichten sie, dass es auch anders geht. „In Kooperation mit der Stadtverwaltung und den Bewohnern der Siedlung werten wir die dortigen Wohnverhältnisse nachhaltig auf“ führte Prof. Dr. Klumpner aus. Herzstück des Projekts ist ein zweigeschossiger Holzrahmenbau, der mit Metallplatten verkleidet ist. Durch die Schaffung einer zweigeschossigen Wohnung konnte die Grundfläche der bestehenden Häuser halbiert werden, wodurch mehr Platz für öffentliche Freiflächen geschaffen wurde.

Auch für Stuttgart wünscht sich Prof. Dr. Klumpner mehr Freiflächen: „Der stehende Verkehr muss raus aus der Stadt.“ Gleichzeitig gelte es, Straßen noch viel stärker als bisher in Grünflächen zu verwandeln. Ein interessantes Beispiel brachten die beiden Vortragenden aus der Stadt Sarajevo mit. Hier sorgt ein System von öffentlichen Wasserstellen neben ökologischen Vorteilen dafür, dass vorher fragmentierte Nachbarschaften wieder zueinander finden.

„Für bezahlbares Wohnen müssen wir raus aus dem Kleinklein und wieder in größeren Maßstäben denken“, so das Credo von Andreas Hofer, Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27). „Klima- und generationengerecht gelingt das aber nur, wenn wir die vorhandenen Flächen sehr viel besser ausnutzen. Wir müssen daher städtische Funktionen geschickt übereinanderschichten.“ Beispielhaft für diesen Ansatz stellte er das IBA-Projekt „produktives Stadtquartier Winnenden“ vor: Statt eines gewöhnlichen Gewerbegebiets soll auf einer 5,5 Hektar großen Fläche ein Stadtviertel der Zukunft entstehen, das Industrie, Gewerbe, Wohnen und Freizeit in neuartigen dichten und urbanen Baublöcken mischt, die in großzügige, gemeinschaftlich genutzte Freiräume eingebettet sind. „Hier könnte ein Stück Stadt entstehen, das beweist, dass man auch auf einer Fabrik wohnen kann. Im Zeitalter von Industrie 4.0 ist das bei hoher Wohnqualität möglich“, so Hofer.

Auch Marije Raap, Programme Manager Housing bei der Stadt Amsterdam, machte deutlich, dass eine klare Fokussierung auf sozialen und bezahlbaren Wohnraum bei Neubauten ein Erfolgsrezept darstellt. „In Amsterdam werden 40 Prozent aller Neubauten als sozialer Wohnraum angeboten, weitere 40 Prozent kommen in einem mittleren Preissegment auf den Markt.“

Hinzu komme, dass zukünftig jeder Erwerber, der einen Neubau in Amsterdam kauft, auch in diesem wohnen muss, um so Spekulationsgewinne einzudämmen.

Die ambitionierten Pläne der Amsterdamer Stadtverwaltung sehen vor, dass von 2018 - 2025 durchschnittlich 7.500 Wohnungen jährlich neu entstehen. Da der weiteren Ausdehnung der Stadt geografisch Grenzen gesetzt sind, sind kreative Lösungen gefragt. Ein Gebiet in dem dies schon sichtbar wird, ist Buiksloterham. Buiksloterham wandelt sich von einem industriellen Gewerbegebiet zu einem kreisförmigen Stadtviertel, in dem Wohnen und Arbeiten im Mittelpunkt stehen. Insgesamt rund 8.500 Wohnungen können dort gebaut werden.

Joost Nieuwenhuijzen, Geschäftsführer der EFL, ergänzt: „Bezahlbarer Wohnraum, ein starkes Wachsen der urbanen Zentren und der Klimawandel sind Herausforderungen, denen sich die Wohnungswirtschaft stellen muss. Unsere diesjährige Herbsttagung bot eine ausgezeichnete Plattform, diese Fragen zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Ich habe mich dabei besonders über die Unterstützung unseres Mitgliedunternehmens FLÜWO gefreut, die uns bei der Organisation dieses Events geholfen hat.“

Ben Pluijmers machte mit seinem Ausblick Hoffnung: „Die Herausforderungen sind groß, aber ich sehe viele Initiativen, die diese Herausforderungen annehmen, und das ist auch, wofür die EFL da ist.“

Mehr Infos zur Tagung, die selbstverständlich coronakonform organisiert war, finden Sie hier: https://drive.google.com/file/d/1uZDKBmhLuDP9oChNtw5C4BJXb3QP-lT9/view

Bildmaterial zum Download

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    Teilnehmer der EFL-Tagung auf der S21-Baustelle.
    6,61 MB
  • 2021-10-21-efl-tagung.jpg
    (v.l.n.r.): Dr. Iris Beuerle, Verbandsdirektorin vbw (Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.); Joost Nieuwenhuijzen, Geschäftsführer EFL; Ben Pluijmers, Vorstandsvorsitzender EFL; Rainer Böttcher, Vorstand FLÜWO
    3,61 MB
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